Auch wenn ich 3 Dialysen in A… machen konnte, blieb da noch das Problem mit dem Platz. Oder besser mit dem Fehlenden.
Der nächste freie war in Ingolstadt. Deshalb sollte ich nach einer Woche dorthin wechseln.
Also ne gute Stunde Hinfahrt, 4 Stunden Dialyse und dann zurück nach ED….
Für mich unvorstellbar.
Meine Lebensretterin, eine Maschine.
Lebenserhalt, nicht lebensverlängernd.
Ohne Maschine, keine Existenz.
Wollte ich das denn?
Dreimal die Woche Blutdruckabfälle und Kotzerei. Dazu die langen Fahrten.
Wollte ich denn so existieren, unter diesen Umständen?
Leben war meiner Meinung nach ja nicht mehr möglich.
Aber da war auch noch die andere Seite, neben der Dialyse.
Ich war verliebt und frisch verheiratet. Ich verstand mich. sehr mit der Familie meines Mannes und hatte ganze 4 Tage dialysefreie Zeit.
Also alles Scheiße, oder einfach mal sehen, was kommt, trotz Ingolstadt?
Freitag sollte also meine letzte Dialyse in A… sein.
Mann hatte ich einen Bammel davor, Montag zu wechseln.
Die Fahrt hin und zurück mit dem Taxi war geregelt.
Misses Angsthase war an diesem Wochenende riesengroß und ließ mich nicht schlafen. Alles ging so schnell, dass ich total überfordert war.
Kurz bevor es ab nach Ingolstadt ging, kam ein Anruf von A…:
»Wir haben jetzt doch einen Platz für Sie.«
JUHU! Das war ja wohl die beste Nachricht überhaupt. Na ja, gleich neben »Sie brauchen doch keine Dialyse«. Aber darauf konnte ich wohl nicht mehr hoffen.
Jetzt also keine lange Fahrt, sondern nur 20 Minuten hin und zurück.
Meine Stimmung war an diesem Tag verhältnismäßig gut.
Ich bekam mein festes Bett zugewiesen. Dort sollte ich den 2. Teil meines Lebens verbringen. Etwa 15 Stunden die Woche. 6 Leute im Zimmer, je 3 auf einer Seite und gegenüber ein Fernseher, den man sich teilte.
Handy, iPad oder gar WLAN gab es lange noch nicht.
Dafür gab es Raucherecken im Krankenhaus. Die besuchte ich vor jeder Dialyse und blieb für ein paar Zigaretten dort. Die Angst vor den Nadeln machte mich regelmäßig fertig.
Da ich aber nicht nur Angsthase, sondern auch Misses Vernunft im Gepäck hatte, ging ich irgendwann zitternd Richtung Dialyse und legte mich in mein Bett. Meinem neuen, festen Platz.
Schüchtern sagte ich »Hallo« zu den Mitpatienten, die ich wohl öfter sehen werde, und wurde an die Maschine gehängt.
Herr KR…, der Patient neben mir sagte:
»Am Freitag lag noch Herr Paul in diesem Bett. Ein feiner Mensch.«
»Wo ist er denn hin, der Herr Paul?«, fragte ich.
»Er ist tot. Warum glaubst Du, das der Platz frei ist«, kam nüchtern und etwas bitter die Antwort.
Es hatte ein bisschen gedauert, aber es sickerte langsam zu mir durch und traf mich wie ein Donnerschlag, ein Blitz, mitten in mein Herz.
Meinen freien Platz – JUHU – verdankte ich einem Mann – Herrn Paul, weil er gestorben war. In seinem Garten umgefallen – einfach so.
Und ich lag da, hoffte, dass sich unter mir ein Loch auftat, in das ich samt Bett versinken konnte.
»Ich bin schuld«, dachte ich. Ich wollte unbedingt einen Platz in A…. »Dieser Mann musste wegen mir sterben.«
Auch wenn es objektiv natürlich nicht so war, so war es genau das, was ich dachte und fühlte.
Ich weinte still und war mir nicht sicher, wie ich mit dieser Schuld weiterleben konnte.
Nicht die Letzte, die ich in den nächsten 30 Jahren mit mir trug.