Das Leben ging weiter, schon wieder.
Diesmal mit dreimal die Woche Dialyse.
Es dauerte etwa 1 Jahr, nachdem man mich in der Arbeit eigentlich nicht wollte, aber dann doch übernahm. Du erinnerst Dich:
»Die mag ja sonst keiner, mit dieser Krankheit.«
Leider war diese These nicht so falsch. Meine Anstrengungen, von diesem Arbeitsplatz zu flüchten, waren nicht von Erfolg gekrönt. Keiner wollte auch nur ein Gespräch mit mir.
Ich war einige Wochen krankgeschrieben, dann musste ich wieder dorthin.
Ich weiß noch, dass ich zuerst zu Big Boss musste, um zu klären, wie das jetzt weiter gehen sollte. Er erklärte mir, dass ich, Dienstag und Donnerstag nach der Dialyse arbeiten musste, oder ich werde nur halbtags bezahlt.
Durch das Platzproblem musste ich die Schicht nehmen, die man mir zuwies, da konnte ich nichts ändern. Nachtdialyse, wie heute, gab es nicht.
Die Hälfte Lohn konnte ich mir auf keinen Fall leisten.
Wir arbeiteten beide, was auch notwendig war. Der Münchner Raum war schon immer recht kostenintensiv.
Ich stimmte zu. Was blieb mir auch anderes übrig. Obwohl ich mir das nach regelmäßiger Kotzerei und Blutdruckabfällen nicht vorstellen konnte.
Zum zweiten wurde mir die Gleitzeit entzogen, da ich ja sowieso einige Stunden in der Woche fehlte. Auch dem stimmte ich zu.
Schließlich war ich in diesem Fall die Schuldige. So fühlte ich mich, schuldig weil ich die Kranke war. Schuldig und natürlich dankbar.
Nach diesem Gespräch war mir klar, dass sich meine Arbeitswelt wohl sehr ändern würde. Das setzte sich in meinem Büro fort.
Ich erledigte Rechnungen und Aufträge. Keine so tolle Sache, aber immerhin BAT 8.
Auf meinem Schreibtisch warteten die zu erledigenden Aufgaben, wie vor meiner Dialysezeit. Nur waren an den Rechnungen kleine Zettel mit »Rechnung bezahlen«. Und an den Aufträgen »Auftrag erteilen«.
Irritiert ging ich zu meinem Chef und fragte:
»Hat sich in den letzten 10 Wochen etwas geändert? Werden Aufträge anders erteilt oder Rechnungen anders bezahlt?«
Das wäre möglich gewesen.
»Nein«, meinte Herr KM….
»Wozu dann die Zettel?«
»Weil sie ja jetzt krank sind und Dialyse machen«, sagte er.
»Ja, da hinten«, antwortete ich entsetzt und zeigte an die Gegend der Nieren. »Aber nicht da«, und zeigte an meinen Kopf.
Als Dialysepatient durfte ich nicht viel trinken. Eigentlich nicht mehr als 500 ml, aber mal ehrlich, das schafft eh keiner. So wenig wie möglich, das war immer mein Motto. Das war sehr hart für mich. Um es in den Griff zu bekommen, verzichtete ich auf den Kaffee morgens und nachmittags mit den Kollegen.
Am Anfang setzte ich mich noch wie gewohnt dazu und erklärte bereitwillig, warum ich nichts trank. Weder Kaffee, noch Tee oder sonst etwas. Es kommt nicht darauf an was, sondern auf die Menge der Flüssigkeit.
Mit der Zeit ging ich immer seltener zu den Kaffee-Runden. Irgendwie war es wohl nicht richtig, da hinzugehen und nichts zu trinken. Es war müßig, das ständig zu erklären.
Zu Geburtstagsfeiern wurde ich nur noch selten eingeladen.
Der Grundstein für eine schwere Zeit war gelegt.
»Die trinkt ja eh nix«, hörte ich immer wieder.
Ich wurde schnell zum Außenseiter, was ich bereitwillig annahm.
Schließlich war ich die Böse, davon war ich überzeugt.
Erschwert kam dazu, dass ich vollkommen fertig war. Dialyse und Arbeit im Wechsel. Dann die Arbeit nach jeder Dialyse. Dazu die ständige Kotzerei und Blutdruckabfälle. Das schlauchte extrem.
Ich wurde mit dem Taxi um 6:00 Uhr morgens zur Dialyse gefahren und ca. 11:00 Uhr wieder nach Hause. Sofort stieg ich in mein Auto und fuhr etwa 20 km zur Arbeit. Oft dachte ich am Ziel:
»Wie bist du wieder hierher gekommen?«
Es ist wie so eine automatische Handlung, bei der man gar nicht so sehr darüber nachdenkt.
Die lange Straße entlang fahren, Macht der Gewohnheit.
Was aber, wenn plötzlich ein Kind vor das Auto läuft?
Hätte ich da angemessen reagieren können?
Nicht umsonst sollte man nach der Dialyse mit dem Taxi nach Hause fahren.
In der Arbeit machte ich Fehler, das muss ich zugeben. Dienstag und Donnerstag schlichen sie sich immer wieder ein. Ich konnte mich nicht konzentrieren, war immer kurz vor dem Einschlafen.
In diesem Zustand musste ich nach dem Dienst wieder nach Hause fahren.
Immer wieder musste ich Krankheitstage einlegen, weil ich es nicht schaffte.
Jeder Tag war eine Qual.
Natürlich waren meine Chefs nicht erfreut.
Jeder noch so kleine Fehler wurde mir vorgeworfen, genau so wie jeder Krankheitstag.
Ich hatte alles versucht, das Pensum so gut wie möglich zu schaffen, und hatte riesen Schuldgefühle, wenn es nicht so war.
Nach etwa einem halben Jahr ging ich zu meiner Krankenkasse und fragte, ob ich mit dem Taxi nach der Dialyse statt nach Hause, direkt zur Arbeit fahren könnte. Ich erklärte:
»Ich habe Angst, ein Kind zu überfahren, oder so.«
»Warum arbeiten sie nach der Dialyse?«, fragte der nette Bearbeiter.
»Weil ich es mir nicht leisten kann, nur halbtags zu verdienen.«, sagte ich.
»Das müssen sie doch gar nicht, Frau Falk. Für die fehlende Zeit bekommen sie Krankengeld.«
JUHU! So einfach war das. Raus aus diesem Horror. Keine Autofahrten und keine Arbeit an den Dialysetagen.
Nach der Euphorie folgte die Ernüchterung. Schließlich musste ich die frohe Nachricht Big Boss mitteilen.
Du erinnerst dich? Nach dem ›ER wollte nur die 9b bezahlen, die übergeordnete Dienstelle beschloss die 8‹, war es das zweite Mal, dass seine Entscheidung geändert werden sollte.
Und ich war der Überbringer, der frohen Nachricht. Na super!
Zitternd erklärte ich ihm die Problematik mit meinem Fahrtweg und der geringeren Arbeitsleistung. Die optimale Lösung war da ja, dass die Krankenkasse meine fehlenden Stunden übernimmt.
Natürlich zeigte er keinerlei Regung, dafür war er viel zu professionell. Aber sobald ich sein Büro verließ, berief er meine direkten Chefs zu sich. Der große Kriegsrat tagte.
Was dort genau beschlossen wurde, weiß ich nicht, aber danach wurde mir zähneknirschend genehmigt, an Dialysetagen nicht zu arbeiten. Natürlich mit den Schlussworten:
»Scheinbar bleibt uns nichts anderes übrig.«
Aber, Käse gebissen, alles wieder gut! Oder?
Ich konnte mich 3 Tage auf meine Arbeit konzentrieren. Nicht gerade eine tolle Tätigkeit, aber damit musste ich leben, und das tat ich. Schließlich war ich Verwaltungsfachangestellte. Das war sowas wie Berufsehre. Und jetzt hatte ich wieder die Chance dazu.
Problem gelöst, oder?!
Nun sollte ich sagen, dass da dieser »Knoten« zwischen meinen Chefs und mir war. Diesen zu entfernen schien nicht möglich.
Man wollte mich loswerden, und ich wäre bereitwillig gegangen. Nichts lieber als das. Aber ich konnte es mir schlicht und einfach nicht leisten.
Und ich bemühte mich wirklich, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen. Aber ich war 23 Jahre alt, krank und für die Arbeitswelt wohl nicht mehr zu gebrauchen.
Die Tatsache, dass ich ›nur 3 Tage arbeite und für 5 bezahlt werde‹ gefiel auch so manchen Kollegen nicht.
Und wenn du denkst, es ist schon schlimm, glaube mir, schlimmer geht immer.
Da war nämlich:
• Frau X und
• ein Motorrad