17.2) Die Hand

ES IST PSYCHISCH!
Mann hasse ich das. Echt und es ist so einfach.

Da ich ja bereits mit der Psyche zu tun hatte, konnte man so einiges darauf schieben. Alles, was man nicht erklären kann, ist eben psychisch.
Und immer noch hat das für viele Menschen einen negativen Touch.
»Ich bin doch nicht verrückt«, hört man in diesem Zusammenhang.
Deshalb haben viele Patienten Angst, dass sie darauf abgestempelt werden.
Und zu Recht!
Wenn man nämlich die Diagnose »psychisch« einmal hatte, wird einfach nicht mehr weiter gesucht. Ganz egal, wie groß die Schmerzen oder die Beeinträchtigungen sind, letztlich wird man vielleicht noch gefragt, was man denn Schlimmes erlebt hat. Untersuchungen lohnen sich dann wohl nicht mehr.
So ist es mir passiert, leider nicht nur einmal. Meiner Freundin ging es auch so. Ihre Ärztin sagte dazu:
»Sie sind austherapiert.«
Die Schmerzen hat sie immer noch.

Schmerzen in der Hand
Als ich 1996 transplantiert wurde, entfernte man den Shunt, der in der linken Armbeuge saß. Es war einer mit Goretex, so was wie ein Röhrchen, das in die Ader eingesetzt wurde. Ein Stück davon blieb drin. Die Ärzte meinten, das wäre notwendig, weil die Wand der Ader zu dünn sei, um alles zu entfernen.

Da das Ding direkt in der Beuge saß, hat es mich immer ein bisschen gestört. Es hat genervt, und ab und dann auch etwas weh getan. Aber da man nichts machen konnte, blieb mir nichts übrig, als es hinzunehmen.

Die Jahre vergingen, in denen ich immer wieder darauf hinwies, dass dieses blöde Ding weh tat und nervte.
»Das raus zu machen ist nicht einfach«, wurde mir gesagt.

Viele Jahre später bekam ich Probleme mit dem linken Arm und der Hand.
Etwas Heben oder Greifen war manchmal nicht mehr möglich. Es tat so weh, dass ich nach dem Duschen das Handtuch kaum halten konnte.
An diesem Stück Goretex lag es nicht, das versicherte man mir.
Woran lag es dann?

Ich machte den Test für Karpaltunnelsyndrom.
Bei diesem wurde Strom durch den Arm gejagt. Das tat weh. Und zum Vergleich das Ganze noch mal bei dem anderen Arm.

Kein Karpaltunnelsyndrom.
Sollte ich mich jetzt freuen, dass es das nicht war, oder sollte ich mich ärgern, weil ich immer noch ratlos war?
Man schickte mich noch drei Mal zu diesem Test, was wohl die einzige Möglichkeit war, nach meiner Beschreibung. Da nie etwas dabei raus kam, sagte man mir:
»Es kann sein, dass man ein Karpaltunnelsyndrom hat, dies aber nicht im Test angezeigt bekommt.«
Soll das mal einer verstehen.

Immer wieder wachte ich nachts auf vor Schmerzen. Dann hielt ich die Hand nach unten, und es wurde besser. Obwohl das für eine Durchblutungsstörung sprach, bekam ich die Schiene für das Karpaltunnelsyndrom, weil ich das ja trotz negativem Test haben konnte.
Ich versuchte, diese Schiene zu tragen. Aber wenn ich nachts aufwachte, riss ich sie mir von der Hand, weil die Schmerzen noch krasser waren. Es war wohl doch nicht dieses Syndrom.
Also, was war es dann? Ganz klar, die Psyche!

Mir war schon klar, dass sich die Psyche im ganzen Körper bemerkbar machen konnte. Aber ich glaubte nicht, dass sie sich in meinem Arm zeigte.

Fast ein Jahr litt ich extrem mit der kaum funktionierenden und schmerzenden Hand. Wenn ich es ansprach, dann war die Antwort:
»Die Psyche, Sie wissen doch, Frau Dorfner.«
Austherapiert. Ende.

Obwohl ich mich diesem Schicksal beinahe ergab, war
da ein Funke Hoffnung, der mich nicht aufgeben ließ.
Der Weg führte mich also nach den vielen Tests zum
Venenspezialisten und wieder zum 3. Neurologen.
Ich erzählte ihm von meinem Leidensweg. Die erste Reaktion von ihm war, na rate mal, Karpaltunnelsyndrom.
»Bitte«, sagte ich. »Nicht schon wieder dieser Test. Es tut weh und es kommt sowieso nichts dabei raus.«
»Das geht auch ganz kurz, und tut fast nicht weh.«, war seine Antwort.
»Geht das denn?«
Es ging!
Keine 5 Minuten hat es gedauert, da schloss er das Karpaltunnelsyndrom aus.
»Wenn er jetzt Psyche sagt, dann flippe ich aus«, dachte ich.
»Da fällt mir auch nicht viel dazu ein«, meinte er. »Aber es gibt einen neurologischen Ultraschall. Leider übernimmt das die Kasse nicht. Er kostet 75 Euro«.
»Klar«, sagte ich.
Ich glaube, ich hätte alles bezahlt für die Chance, dass das ein Ende hat.
Gesagt, getan.

Diese Untersuchung brachte erst mal nichts.
»Was für eine Scheiße«, dachte ich.
Meine letzte Hoffnung schwand dahin. Im Geiste sah
ich die Worte psychisch, psychisch, psychisch …«
Aber dann war da doch was. Etwas kam ihm komisch vor. Etwas, das nicht zu seinem Fachgebiet gehörte.
»Da vorne, an der Hand, müsste alles rot sein«, sagte er, und zeigte auf die beinahe nur graue Stelle. »Da stimmt etwas nicht.«
Ich lächelte. Ein Lichtblick!
»Können Sie mir das schriftlich geben«, fragte ich. »Ich glaube, dass ich genau den Richtigen dafür kenne.«
Ich bekam einen kurzen Bericht und die Ultraschallbilder. Damit ging ich zu Doktor WF…. Ich kannte ihn, weil er meinen Shunt operierte. Ein weiterer Venenspezialist, aber mit dem Material des Neurologen war ich sicher.
Ich hatte im Laufe der Zeit so einige Ärzte, wegen der Shunts. Aber zu ihm hatte ich das größte Vertrauen.

Ich zeigte ihm den Bericht und meinte:
»Ich glaube, das ist Ihr Job.«
Er machte selbst einen Ultraschall vom ganzen Unterarm.

Es dauerte eine Ewigkeit, und ich brannte darauf, was
er wohl sagen würde.
»Bitte«, dachte ich. »Bitte lass es etwas sein.«
Und dann kam es:
»Der Neurologe hatte recht. Die Durchblutung zur Hand ist nicht ausreichend. Das Goretexstück muss raus.«
Boa, ich glaubte es nicht. Dieses Teil, was mich gut 20 Jahre nervte, war schuld. Aber war das tatsächlich die Lösung, rumorte es in mir. Oder war es doch die Psyche?

Eine Woche später war die Operation. Es wäre mit örtlicher Betäubung möglich gewesen, aber ich bestand auf ein Nickerchen. Zum Glück war das diesmal kein Problem. Nach der OP sagte mir Doktor WF…, dass dieses Goretex-Teil zu Stein geworden war, und er es Schicht für Schicht abtragen musste. Dann hatte er noch einen Bypass gelegt.
Was soll ich sagen?

Natürlich tat die Operationsstelle weh. Aber am zweiten
Tag konnte ich Arm und Hand frei bewegen. Einfach so. Ohne diese Schmerzen.
Ich weiß noch, dass ich die Hand ständig bewegte. Ich ging ins Bad und hob ein Handtuch. Dann griff ich immer wieder nach Sachen und wartete auf diesen Schmerz, der mich beinahe 1 Jahr begleitete. Auch nachts wachte ich auf und wartete.
Er kam nicht!

Dieses Gefühl zu beschreiben ist nicht möglich.
Ich glaube, als J… kam, verfiel ich in ein Dauergrinsen.
Auch er freute sich.

Es war vorbei! Diese ganze Scheiße war vorbei!
Und es war nie die Psyche!
Was, wenn ich nicht so hartnäckig gewesen wäre?
Wenn ich mein Schicksal so hingenommen hätte?

Vielleicht konnte ich ein wenig stolz auf mich sein.
Doktor B… meinte: »Da ist uns ja was gelungen, was der Uniklinik nicht gelungen ist.«
»Ja«, dachte ich. »Aber nicht uns, sondern mir.«
Ich war sehr stolz auf mich!

Schmerzstufe 0 bis 10

Wenn man mit Schmerzen zu einem Arzt oder eine Klinik geht, wird man immer gefragt:

“Wie stark sind die Schmerzen auf einer Skala von 0-10. Wobei 0 gar kein Schmerz, und 10 unerträglich. Ist“

Und da fängt für mich schon immer das Problem an.
Oft dachte ich, dass ich unerträgliche Schmerzen hatte, wurde aber eines besseren belehrt, als ich feststellen musste, dass es doch noch stärker geht.

Seit ich mit der Polyneuropathie zu kämpfen habe, dachte ich oft, dass ja eigentlich nicht noch mehr kommen kann. Aber klar … Schlimmer geht immer.

Seit ein paar Wochen ist, wie sich jetzt herausstellte, eine Durchblutungsstörung dazu gekommen. Ich wusste das nicht, dachte, dass die Polyneuropathie wieder mal schlimmer geworden ist.

Schmerzstufe 10
gebe ich eigentlich nie an.


Irgendwie möchte ich mir da noch ein bisschen Luft nach oben lassen.
Na ja, vielleicht auch, weil ich nicht wehleidig sein möchte.

Als ich mich diese Woche aber freiwillig Richtung Krankenhaus begeben habe und man mich dort nach der Schmerzstufe erkundigte, war meine Antwort:

“Von 0 bis 10 eine glatte 12!“

Ich hätte auch 15 oder 20 angeben können. Schlimmer kann ich mir Schmerzen beim besten Willen nicht mehr vorstellen.

Ein sehr netter Arzt gab mir eine Schmerzpumpe.
Wirklich eine tolle Sache.


Sobald der Schmerz mehr wird drückt man auf eine Knöpfchen und bekommt eine bestimmte Menge an Schmerzmitteln. Das kann man, wenn nötiger, so alle halbe Stunde wiederholen.

Damit wird das Ganze durchaus erträglich.

Mit dem öffnen der Engstellen sollte die Durchblutungsstörung behoben werden und damit die Schmerzen deutlich zurück gehen.

Das hoffen die Ärzte, und vor allen natürlich ich.

Das Ganze dann am Montag.
Ich bin aufgeregt, aber freue mich auch, dass es besser werden kann.

17.1) Das Schlimmste und die Transplantatniere

Alles nur psychisch
Ich finde, dass Schlimmste was passieren kann, ist, wenn ich mit einem Problem zum Arzt gehe, mich anvertraue, und ich bekomme gesagt:

• »Das gibt es nicht« oder
• »Es gibt kein Problem« oder
• »Sie haben nichts, es ist alles in Ordnung.« • usw.


Wobei
»Das gibt es nicht«
ganz oben im Ranking steht.

Ganz ehrlich, wenn ein Arzt sagt, dass es die Schmerzen, die du hast, nicht gibt, was soll man da sagen? Ein Totschlagargument, dem man nichts hinzufügen kann.

So ist mir das mit der Dialyse ergangen, als ich jedes Mal Migräne hatte. 4 Jahre, dreimal die Woche.
»Das gibt es nicht, das hat nichts mit der Dialyse zu tun“, bekam ich ständig gesagt.

Nur ein paar Knöpfe gedrückt, und das Problem war behoben. Doktor B… wusste das auf Anhieb. Sofort, als ich es ihm schilderte.
Das Problem gab es eben doch.

Das Allerschlimmste
Ich muss mich korrigieren.
Das allerschlimmste Erlebnis hatte ich bei einem Orthopäden.

Ich hatte immer die Schmerzen in den Füßen und Zehen. Damals war nicht klar, was das war. Ein Arzt im Krankenhaus meinte, ich solle mir einen Überweisungsschein für ein MRT holen. Also ging ich zu besagten Orthopäden und erklärte ihm die Situation. Er wollte alles über meinen Gesundheitszustand wissen, was ich ihm bereitwillig sagte. Nachdem er alles über meine Dialysezeit erfuhr, fragte er mich:

»Wissen Sie, was so ein MRT kostet? Das lohnt sich doch gar nicht mehr für Sie, bei Ihrem Krankheitsbild.«

Das war wirklich das Schlimmste, was ich je von einem Arzt hörte.
In seinem Zimmer behielt ich die Fassung und überredete ihn, mir diesen Schein zu geben.

Unter seiner Praxis war ein Orthopädieschuster. Der wurde sofort geholt, damit er Abdrücke für Einlagen machen konnte. Ich erklärte, dass ich einen eigenen Schuster hatte, der das zu meiner vollen Zufriedenheit erledigte. Das Rezept bekam ich gar nicht zu sehen, nur kurz zur Unterschrift. Erst danach erhielt ich den Überweisungsschein. Die Einlagen habe ich zwar geholt, aber nie verwendet. Sie waren das krasse Gegenteil, von meinen Gewohnten.

Ich ließ es zu. Keine Ahnung warum. Ich hätte dem Arzt so einiges erzählen müssen. Die Einlagen gar nicht annehmen sollen.

Als ich die Praxis verließ, gleich nach der Türschwelle, liefen die Tränen. J… wartete draußen und fragte, was los sei.

»Ein MRT ist zu teuer. Es lohnt sich nicht mehr für mich«, schluchzte ich.
»Hat das der Arzt gesagt?«
»Ja.«

Dann erzählte ich ihm von dem Rezept, das ich nicht bekam. Von den Einlagen, die ich nicht wollte, aber ausmessen lassen musste.
Bestellen musste.

»Ich geh da rein«, sagte J…. »Dem sag ich die Meinung.«
Ich hätte ihn gehen lassen sollen. Aber ich hielt ihn zurück, weil es ja keine Zeugen gab. Ich glaube, ich habe das gemacht, weil ich selbst glaubte, dass es sich nicht mehr lohnte. Dass es wieder etwas war, bei dem ich Schuldgefühle bekam. Ich koste der Gesellschaft zu viel, und konnte nichts zurückgeben.
Das war das Schlimmste, was ich je von einem Arzt hörte.

Also, zurück zu alles nur psychisch
Ich hatte Schmerzen an der Transplantatniere. Wochenlang klagte ich, nahm viele Schmerzmittel, um überhaupt schlafen zu können.

»Das gibt es nicht. Das was Sie beschreiben, gibt es nur am Anfang der Transplantation.«
Was sollte ich da dagegensetzen?

Natürlich wusste ich, dass die Transplantatniere keine Nerven hatte. Sie konnte also eigentlich nicht weht tun, oder?
Tat sie aber!

Nachdem ich 13 Jahre lang keine Schmerzen hatte, bin ich mit der Dialyse zum Hypochonder geworden?
Ganz ehrlich, beinahe glaubte ich das.
Aber ich ließ nicht locker. Sprach das Problem, das es eigentlich nicht gab immer wieder an.

Einmal sagte die Ärztin:
»Wir versuchen es mit Cortison. Wenn das hilft, ist es eine Abstoßung, wenn nicht, dann ist es keine.
Cortison? Im Ernst?
Nach meinen Erfahrungen mit diesem netten Medikament wurde mir sofort heiß. Allein bei dem Gedanken schwoll mein Gesicht zum Basketball an und ich nahm 30 kg zu. So fühlte es sich sofort an.
»Ganz sicher werde ich nicht mit Cortison experimentieren«, antwortete ich.

Als ich zur Dialyse B… kam, wusste Doktor B… auch
nicht, woran das liegen konnte.
Aber zum Glück glaubte er mir.

Er machte eine Ultraschalluntersuchung, schickte mich zum Frauenarzt und nahm bei jeder Dialyse Blut ab. Der CRP, ein Blutwert, der eine Entzündung anzeigt, stieg stetig an. Nach 2 Wochen war für ihn klar, dass die Transplantatniere stark entzündet war und raus musste.
Er gab nicht auf. Danke!

Freche Gans


Wenn man viel fotografiert, dann sammeln sich auch unzählige Bilder auf dem Computer.

Diese Woche habe ich angefangen, ein bisschen zu sortieren.
Dabei habe ich wieder die Bilder der frechen Gans gefunden, und möchte sie Euch heute mal zeigen.

Die Kleine hat mich so fasziniert, da musste ich natürlich bleiben und fotografieren.

An der Kamera knabbern

Gut, dass ich meine gerade in den Händen hielt

Ups …

war ich das etwa?

Finger …

ob ich da mal knabbern darf?

Am Ende bekam ich noch ein Foto, das ich perfekt malen konnte

Weitere gemalte Vogelbilder findest Du auf www.RobbyD.de

Psychiatrie und Psychosomatik

Psychiatrie

Da war ich also in der Psychiatrie. In der geschlossenen Abteilung.
»Wow«, dachte ich. »Da hab ich es ja weit gebracht.«

Ich bekam Medikamente zum Schlafen, Antidepressiva und Tavor. Eine Menge Tavor.
Wir waren zu zweit im Zimmer.
Das Mädchen bei mir schien ganz nett.
Eines Nachts wurde ich geweckt und mit Bett aus dem Zimmer gefahren. Im Gang spazierten Männer um mich und starrten mich an. Ich starrte zurück. Da war ich also auch nicht besser. Nur war ich wohl die Einzige, die Angst dabei hatte. Wirklich erstaunlich, wie viele dort nicht schliefen.

Keine Ahnung was los war, aber im Zimmer wurde das nette Mädchen indessen an ihrem Bett fixiert. Was musste los gewesen sein, dass ein Mensch an sein Bett gefesselt wird? Und war ich da irgendwie im Spiel, ohne es zu wissen?
Mann, hatte ich Schiss!
Das Mädchen schien es witzig zu finden, als sie am nächsten Morgen beim Frühstück allen erzählte:
»Heute Nacht haben sie mich wieder fixiert.«

14 Tage war ich auf dieser Station.
J… hat mich sehr unterstützt und oft besucht. Mit ihm konnte ich raus, im Haus spazieren gehen. Ganz egal – es war einfach schön, wenn er da war.
Meine Eltern besuchten mich auch.
Ich nutzte alles, was man dort machen konnte, und nahm brav die vorgeschriebenen Medikamente.

Tavor

Das Problem war, wenn ich Tavor nahm, fühlte ich mich schlecht.

Eigentlich sollten die Dinger beruhigen, und das habe ich von anderen Patienten auch gehört. Nur bei mir schien das Gegenteil der Fall, was ich dem Personal mitteilte. Die taten das, was für sie wohl logisch war. Zur Beruhigung gab man mir mehr Tavor.

Ein Teufelskreis.
Ich fühlte mich wie ein Tier im Käfig, dessen Gitterstäbe immer enger wurden. Gleichzeitig war ich gedämpft, so das ich es nach außen nicht richtig mitteilen konnte. Wie sollte man also jemanden erklären, dass man zwar von Außen recht ruhig wirkt, innerlich aber komplett durchdreht?

Ich habe gelernt:
Psychiatrie bedeutet Medikamente.
Auch wenn man dort mit Psychologen reden konnte, wurde man erst mal ruhig gestellt, dann weitersehen.
Dort wo ich war, konnte ich das Problem mit dem Tavor nicht lösen.
Ich beschloss, das Medikament so schnell wie möglich abzusetzen, was recht gut klappte.
Erst viel später erfuhr ich, warum ich mich damit so mies fühlte.

Ein Arzt hat mir erklärt, dass es zwar selten der Fall ist, aber es gibt eine paradoxe Wirkung.
»Nehmen Sie das nie wieder.«, war seine Anweisung.

Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn immer, wenn ich mit Schmerzen in ein Krankenhaus komme, möchte man mir zur Beruhigung erst mal Tavor unterjubeln. Das passiert mir immer wieder.
»Da, nehmen Sie das erst mal.«
Zum Glück weiß ich, wie die Dinger aussehen.

Der Professor

Ich bekam einen Termin bei einem Professor.

Er war sehr nett und fragte mich, wie es mir in der geschlossenen Abteilung geht.
»Ich habe Angst«, sagte ich ihm.
Er nickte und lächelte, aber so, dass es mir ein positives Gefühl gab. Ich mochte ihn von Anfang an.
Wir unterhielten uns über meine Transplantation. Von meinem Gefühlschaos und den Schuldgefühlen.
»Sie haben das über 10 Jahre für sich behalten?«
»Ja, weil ich zwar irgendwie dankbar aber nie glücklich war. Das kann man doch nicht sagen, oder?«
»Sie sind damit nicht alleine«, war seine Antwort und er erklärte:
»Viele landen früher oder später hier, weil sie mit der Transplantation nicht fertig werden. Eigentlich bräuchte jeder Patient sofort nach der Operation psychologische Betreuung.«

Ich finde es schade, das das Ganze so ein Tabuthema ist.
Wenn ich transplantierte Patienten traf, dann waren sie scheinbar glücklich, und bestimmt sind das auch viele. Manche verpassten ihrem Organ sogar einen eigenen Namen und feierten ihren 2. Geburtstag.

Aber da war auch eine Patientin, die ständig Angst hatte, ihre Niere zu verlieren. Deshalb hatte sie ständig Panikattacken. Oder eine Andere, die ständig ihren Bauch hielt, als ob sie schwanger wäre. Sie konnte damit einfach nicht aufhören. Einer hatte ein Herz bekommen, und wollte sich umbringen.
Na ja, und ich? Ich war voller Schuldgefühle.

»Möchten Sie es mal auf meiner psychosomatischen Station probieren?«, fragte mich der Professor.
»Ich habe keine Ahnung was das ist«, antwortete ich. »Aber alles ist besser, als diese Geschlossene.«
Er lachte, und noch am selben Tag wechselte ich die Station.

Psychosomatik bedeutet reden.

Reden mit einer Psychologin. Reden in einer Gruppe. Reden, nach dem Malen von Bildern. Reden, reden, reden.

Obwohl wir zu viert im Zimmer waren und das Gebäude alt, mit Dusche und Toilette außerhalb, habe ich mich dort so richtig wohl gefühlt.
Es war eine Pause vom Leben. Sich fallen lassen und sicher sein, dass man aufgefangen wird. Jederzeit war jemand da, der sich kümmerte.
Monate war ich dort. Und hätte man mich nicht gezwungen, wäre ich wohl noch viel länger geblieben.
Tja, und was soll ich sagen:

Das Leben ging weiter
– immer noch.

In der Psychosomatik lernte ich, mit meinem Leben klar zu kommen. Die verordneten Antidepressiva spielten da wohl auch eine Rolle.

Also liefen die nächsten Jahre ganz gut – denke ich.
Obwohl ich glaube, dass ich die dialysefreie Zeit hätte besser nutzen müssen. Auch wenn ich immer wieder mit Fieber und Infektionen zu kämpfen hatte, hätte ich mehr daraus machen können.

Die Krankheit ließ mich oft vergessen, mein Leben zu steuern. Ich war gewohnt, zu reagieren auf das, was kommt, statt das Steuer selbst in die Hand zu nehmen.