ES IST PSYCHISCH!
Mann hasse ich das. Echt und es ist so einfach.
Da ich ja bereits mit der Psyche zu tun hatte, konnte man so einiges darauf schieben. Alles, was man nicht erklären kann, ist eben psychisch.
Und immer noch hat das für viele Menschen einen negativen Touch.
»Ich bin doch nicht verrückt«, hört man in diesem Zusammenhang.
Deshalb haben viele Patienten Angst, dass sie darauf abgestempelt werden.
Und zu Recht!
Wenn man nämlich die Diagnose »psychisch« einmal hatte, wird einfach nicht mehr weiter gesucht. Ganz egal, wie groß die Schmerzen oder die Beeinträchtigungen sind, letztlich wird man vielleicht noch gefragt, was man denn Schlimmes erlebt hat. Untersuchungen lohnen sich dann wohl nicht mehr.
So ist es mir passiert, leider nicht nur einmal. Meiner Freundin ging es auch so. Ihre Ärztin sagte dazu:
»Sie sind austherapiert.«
Die Schmerzen hat sie immer noch.
Schmerzen in der Hand
Als ich 1996 transplantiert wurde, entfernte man den Shunt, der in der linken Armbeuge saß. Es war einer mit Goretex, so was wie ein Röhrchen, das in die Ader eingesetzt wurde. Ein Stück davon blieb drin. Die Ärzte meinten, das wäre notwendig, weil die Wand der Ader zu dünn sei, um alles zu entfernen.
Da das Ding direkt in der Beuge saß, hat es mich immer ein bisschen gestört. Es hat genervt, und ab und dann auch etwas weh getan. Aber da man nichts machen konnte, blieb mir nichts übrig, als es hinzunehmen.
Die Jahre vergingen, in denen ich immer wieder darauf hinwies, dass dieses blöde Ding weh tat und nervte.
»Das raus zu machen ist nicht einfach«, wurde mir gesagt.
Viele Jahre später bekam ich Probleme mit dem linken Arm und der Hand.
Etwas Heben oder Greifen war manchmal nicht mehr möglich. Es tat so weh, dass ich nach dem Duschen das Handtuch kaum halten konnte.
An diesem Stück Goretex lag es nicht, das versicherte man mir.
Woran lag es dann?
Ich machte den Test für Karpaltunnelsyndrom.
Bei diesem wurde Strom durch den Arm gejagt. Das tat weh. Und zum Vergleich das Ganze noch mal bei dem anderen Arm.
Kein Karpaltunnelsyndrom.
Sollte ich mich jetzt freuen, dass es das nicht war, oder sollte ich mich ärgern, weil ich immer noch ratlos war?
Man schickte mich noch drei Mal zu diesem Test, was wohl die einzige Möglichkeit war, nach meiner Beschreibung. Da nie etwas dabei raus kam, sagte man mir:
»Es kann sein, dass man ein Karpaltunnelsyndrom hat, dies aber nicht im Test angezeigt bekommt.«
Soll das mal einer verstehen.
Immer wieder wachte ich nachts auf vor Schmerzen. Dann hielt ich die Hand nach unten, und es wurde besser. Obwohl das für eine Durchblutungsstörung sprach, bekam ich die Schiene für das Karpaltunnelsyndrom, weil ich das ja trotz negativem Test haben konnte.
Ich versuchte, diese Schiene zu tragen. Aber wenn ich nachts aufwachte, riss ich sie mir von der Hand, weil die Schmerzen noch krasser waren. Es war wohl doch nicht dieses Syndrom.
Also, was war es dann? Ganz klar, die Psyche!
Mir war schon klar, dass sich die Psyche im ganzen Körper bemerkbar machen konnte. Aber ich glaubte nicht, dass sie sich in meinem Arm zeigte.
Fast ein Jahr litt ich extrem mit der kaum funktionierenden und schmerzenden Hand. Wenn ich es ansprach, dann war die Antwort:
»Die Psyche, Sie wissen doch, Frau Dorfner.«
Austherapiert. Ende.
Obwohl ich mich diesem Schicksal beinahe ergab, war
da ein Funke Hoffnung, der mich nicht aufgeben ließ.
Der Weg führte mich also nach den vielen Tests zum
Venenspezialisten und wieder zum 3. Neurologen.
Ich erzählte ihm von meinem Leidensweg. Die erste Reaktion von ihm war, na rate mal, Karpaltunnelsyndrom.
»Bitte«, sagte ich. »Nicht schon wieder dieser Test. Es tut weh und es kommt sowieso nichts dabei raus.«
»Das geht auch ganz kurz, und tut fast nicht weh.«, war seine Antwort.
»Geht das denn?«
Es ging!
Keine 5 Minuten hat es gedauert, da schloss er das Karpaltunnelsyndrom aus.
»Wenn er jetzt Psyche sagt, dann flippe ich aus«, dachte ich.
»Da fällt mir auch nicht viel dazu ein«, meinte er. »Aber es gibt einen neurologischen Ultraschall. Leider übernimmt das die Kasse nicht. Er kostet 75 Euro«.
»Klar«, sagte ich.
Ich glaube, ich hätte alles bezahlt für die Chance, dass das ein Ende hat.
Gesagt, getan.
Diese Untersuchung brachte erst mal nichts.
»Was für eine Scheiße«, dachte ich.
Meine letzte Hoffnung schwand dahin. Im Geiste sah
ich die Worte psychisch, psychisch, psychisch …«
Aber dann war da doch was. Etwas kam ihm komisch vor. Etwas, das nicht zu seinem Fachgebiet gehörte.
»Da vorne, an der Hand, müsste alles rot sein«, sagte er, und zeigte auf die beinahe nur graue Stelle. »Da stimmt etwas nicht.«
Ich lächelte. Ein Lichtblick!
»Können Sie mir das schriftlich geben«, fragte ich. »Ich glaube, dass ich genau den Richtigen dafür kenne.«
Ich bekam einen kurzen Bericht und die Ultraschallbilder. Damit ging ich zu Doktor WF…. Ich kannte ihn, weil er meinen Shunt operierte. Ein weiterer Venenspezialist, aber mit dem Material des Neurologen war ich sicher.
Ich hatte im Laufe der Zeit so einige Ärzte, wegen der Shunts. Aber zu ihm hatte ich das größte Vertrauen.
Ich zeigte ihm den Bericht und meinte:
»Ich glaube, das ist Ihr Job.«
Er machte selbst einen Ultraschall vom ganzen Unterarm.
Es dauerte eine Ewigkeit, und ich brannte darauf, was
er wohl sagen würde.
»Bitte«, dachte ich. »Bitte lass es etwas sein.«
Und dann kam es:
»Der Neurologe hatte recht. Die Durchblutung zur Hand ist nicht ausreichend. Das Goretexstück muss raus.«
Boa, ich glaubte es nicht. Dieses Teil, was mich gut 20 Jahre nervte, war schuld. Aber war das tatsächlich die Lösung, rumorte es in mir. Oder war es doch die Psyche?
Eine Woche später war die Operation. Es wäre mit örtlicher Betäubung möglich gewesen, aber ich bestand auf ein Nickerchen. Zum Glück war das diesmal kein Problem. Nach der OP sagte mir Doktor WF…, dass dieses Goretex-Teil zu Stein geworden war, und er es Schicht für Schicht abtragen musste. Dann hatte er noch einen Bypass gelegt.
Was soll ich sagen?
Natürlich tat die Operationsstelle weh. Aber am zweiten
Tag konnte ich Arm und Hand frei bewegen. Einfach so. Ohne diese Schmerzen.
Ich weiß noch, dass ich die Hand ständig bewegte. Ich ging ins Bad und hob ein Handtuch. Dann griff ich immer wieder nach Sachen und wartete auf diesen Schmerz, der mich beinahe 1 Jahr begleitete. Auch nachts wachte ich auf und wartete.
Er kam nicht!
Dieses Gefühl zu beschreiben ist nicht möglich.
Ich glaube, als J… kam, verfiel ich in ein Dauergrinsen.
Auch er freute sich.
Es war vorbei! Diese ganze Scheiße war vorbei!
Und es war nie die Psyche!
Was, wenn ich nicht so hartnäckig gewesen wäre?
Wenn ich mein Schicksal so hingenommen hätte?
Vielleicht konnte ich ein wenig stolz auf mich sein.
Doktor B… meinte: »Da ist uns ja was gelungen, was der Uniklinik nicht gelungen ist.«
»Ja«, dachte ich. »Aber nicht uns, sondern mir.«
Ich war sehr stolz auf mich!