Nun war ich also verheiratet. Das war aufregend. Plötzlich ein neuer Name, Frau Falk.
Aber eben auch ein neues Leben, Dialysepatient.
Meine erste Dialyse, einen Tag vor meinem 22. Geburtstag. 3 Tage, bevor ich Ehefrau wurde.
Wie gesagt, das Ganze war dringend, so die Münchner Ärzte. Da es mir immer schlechter ging, glaubte ich das und entschied mich, mir so eine Dialyse mal anzusehen.
Konnte ja nicht schaden.
Eine Schwester führte mich durch die Räume mit Patienten und Maschinen.
Blut floss durch Schläuche.
Menschen – Maschinen – Schläuche – Blut.
Ich war vollkommen überfordert, ging stumm an stummen Patienten vorbei.
Glaub es, oder nicht. Ich verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, wie das Blut vom Menschen in die Schläuche kam.
Da waren diese großen Maschinen und daneben diese stummen, scheinbar nicht sehr glücklichen Patienten. Und das Blut. Wie das mit dem Shunt und den Schläuchen funktionierte, sollte ich bei meiner ersten Dialyse erfahren.
Da die Münchner Klinik keinen Platz für mich finden konnte, und sie selbst keinen hatten, schickte man mich nach A…. Sie meinten, wenn ich da hingehe, dann müssen die mich zumindest für eine Notfalldialyse nehmen.
Also bin ich da mal hingefahren. Nur um mal zu sehen. Ganz sicher würde ich so kurz vor meiner Hochzeit da sowieso nichts machen.
Das war ja wohl klar!
Über die Notaufnahme landete ich schnell bei Ärzten der Nephrologie. Die studierten meine mitgebrachten Werte und nahmen auch selbst noch Blut ab. Nach der Auswertung waren sie entsetzt und fragten, warum ich noch keine Dialyse mache.
Ich erklärte, dass die Münchner Klinik keinen Platz für mich finden konnte und ich hierher geschickt wurde, wegen einer Notfalldialyse.
Ich sah sofort, dass sich die Blicke der beiden Ärzte verfinsterten.
Fakt war nämlich:
Da ich jetzt in A… war und ich dort meine erste Dialyse machen sollte, waren sie in der Pflicht, einen Platz für mich zu finden.
Da hat sich die Münchner Klinik ganz gut aus der Affäre gezogen. Einfach den schwarzen Peter, in dem Fall mich, weitergegeben.
Die Ärzte entschieden, noch am gleichen Tag mit einer Notfalldialyse anzufangen. Die Nächste wäre dann am Montag.
OHNE MICH!
Ich erklärte, dass ich an besagten Montag heiraten werde. Das kam also auf keinen Fall in Frage. Danach, wenn es denn unbedingt sein musste, aber so?
NIEMALS!
Ich hab das bei meiner Shunt-OP bereits erwähnt. Damals war mir nicht klar, dass ich als Patient Rechte habe. Ich hätte gehen können, was ich aber nicht tat. Ob das klug gewesen wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Ich habe geheult und diskutiert, aber es half nicht. Die Ärzte blieben hart.
Und dann ist es wieder passiert. Da war das heulende Elend, das sich weigern wollte. Gleichzeitig war da Misses Vernunft. Die wollte auch nicht, aber die wusste, dass es eben jetzt sein musste.
Also ging ich mit dem Dialysearzt mit, der mich zu einem Bett brachte.
Da lag ich nun und fragte, was jetzt passieren wird.
Bei der Erklärung, dass 2 Nadeln in meinen Arm gestochen werden, wurde mir warm. Meine Panik vor Nadeln kroch durch meinen ganzen Körper.
Und dann kam etwas, was ich nie wieder vergessen konnte.
Wie bereits erwähnt, hatte ich bei der Besichtigung der Dialyse, keinen Gedanken an Nadeln verschwändet. Ich kannte die vom Blutabnehmen und Infusionen.
Mit Dialysenadeln ist das, wie ich gleich feststellen musste, etwas anderes.
Ich schaute einer Schwester zu, wie sie erst die Maschine und dann meinen Arm vorbereitete.
Mann hatte ich Angst.
Und dann kam es: chchcht.
Dieses Geräusch ging mir durch den ganzen Körper.
Wer Dialyse hat, kennt es. Wenn die Packung der Nadeln aufgemacht werden.
Nadeln, die an einem langen Schlauch hängen. Nadeln, die so dick wie meine Finger sind.
So zumindest habe ich es in diesem Moment, nach diesem chchcht gesehen.
Mit den Worten: »Ihr seid ja wohl bescheuert«, sprang ich aus dem Bett, schnappte mir meine Jacke und stürmte ohne Schuhe aus der Dialyse. Es war mir egal. Nur weg von hier.
Weg von diesem Horror.
In der Raucherecke angekommen, zündete ich mir zitternd eine Zigarette an.
Der Dialysearzt stürmte hinter mir her.
ER: »Frau G…, wir müssen mit der Dialyse anfangen.«
ICH: »Auf gar keinen Fall, ich mache das nicht mit. Nicht mit diesen Nadeln.«
ER: »Ihre Werte sind so schlecht. Sie könnten jeden Moment ins Koma fallen. Ein Wunder, dass das noch nicht passiert ist.«
ICH: »Das ist eine hervorragende Idee. Wir warten, bis ich im Koma bin. Danach können sie mich stechen, soviel Sie wollen.«
Und ich meinte es ernst.
DIESE NADELN WÜRDEN NIEMALS IN MEINEN ARM GERAMMT WERDEN!
Ganz sicher nicht bei Bewusstsein.
Koma, hörte sich doch ganz gut an. Auf jeden Fall die eindeutig bessere Wahl.
Ich weiß nicht mehr, wie das Gespräch genau weiter ging. Der Arzt blieb bei mir, ließ mich in meinem Elend nicht alleine.
Nach einiger Zeit und etlichen Zigaretten später waren wir uns einig.
Es stellte sich heraus, dass die Schwester versehentlich die gelben Nadeln nahm, das sind die dicksten mit 1,9 mm. Da war der Schock gleich viel größer.
Stell dir mal vor. Chchcht, langer Schlauch, 1,9 mm Nadeln.
Fast 2 mm gepaart mit einer riesen Nadelphobie.
Wow!
Irgendwann musste er mich überzeugt haben und ich ging mit ihm zurück zur Dialyse. Ich, und eine Heidenangst im Schlepptau.
Keine 2 Nadeln. Am Anfang reicht eine, die er selbst sticht. Das hatte der Arzt mir versprochen. Und keine 1,9 mm, sonder »nur« 1,5 mm Durchmesser.
Na ja, in diesem Moment war alles, was kleiner war, gut. Obwohl ich die Koma-Variante immer noch bevorzugte.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie schmerzhaft das Stechen war, nur daran, dass mein Arm am nächsten Tag sehr blau war.
Ade mit der schönen, weißen, kurzärmeligen Bluse zur Hochzeit. Zum Glück fand ich auf die Schnelle noch eine Langärmelige.
An was ich mich erinnere, ist die Dialyse selbst und ganz viel Übelkeit. Mann, war mir schlecht, und mein Blutdruck wurde immer niedriger.
Und jetzt stell dir mal Folgendes vor:
Dir ist übel, so, dass du eine Nierenschale benötigst. Ich nenne die Dinger liebevoll Kotzschale.
Du liegst im Bett, der linke Arm mit einer Nadel. Den solltest Du nur wenig bewegen. Und in der rechten Hand die Schale.
Weil der Blutdruck nach unten rauscht, stellt eine Schwester das Bett so, dass der Kopf unten, und die Beine nach oben gestellt sind. Wie eine Waagschale, das Gewicht am Kopfende.
Du musst dich übergeben, und in DIESER Haltung besagte Kotzschale treffen. Ganz ehrlich, das grenzt an eine akrobatische Meisterleistung, in der ich leider viel Übung bekam.
Damals gab es Acetat-Dialyse, da war diese Übelkeit und Kotzerei mit Blutdruckabfällen normal. Heute ist das zum Glück nicht mehr der Fall.
Seit der Umstellung auf Bicarbonat ist die Dialyse sehr viel entspannter.
Das war sie also, meine erste Dialyse.
Ich war sicher, dass ich das garantiert nicht lange mitmachen werde.
Aber ich wollte heiraten. Das war wichtig und stellte das Problem erst mal nach hinten.
Nach diesem Horror führte ich 2 Telefonate:
Das erste mit meinen Eltern, mein Vater war dran.
ICH: »Ich hatte heute meine erste Dialyse.«
ER: »Ja, haben wir ja gewusst, dass das kommt.«
Klar waren wir uns nicht so grün, aber ich hätte mir da wirklich mehr gewünscht. Tröstende Worte oder ein Besuch vielleicht?
Von ED… nach A… war es nicht weit. Aber Du errätst es, keiner kam.
Wie das Gespräch mit A…, meiner zukünftigen Schwiegermutter war, weiß ich nicht mehr. Aber es dauerte keine Stunde, da war sie bei mir im Krankenhaus. Sie war da, hat mich getröstet und gefragt, ob ich etwas brauche.
Mehr hätte ich mir von meinen Eltern auch nicht gewünscht.